
Boskop, Herbstprinz & Co.: Äpfel mit Charakter
Obstbauer Dirk Detje schwärmt von alten Apfelsorten – und verrät ein Blitzrezept
Mittwoch, 15. Oktober 2025 · „Zwischen zwei Apfeltouren“ hat Obstbauer Dirk Detje aus Westerladekop im Alten Land, unser Marktpate im November, kurz Zeit gefunden, um über seine Arbeit zu sprechen. Gerade ist Hochsaison, er arbeitet 70 Stunden pro Woche und hat dennoch hörbar Freude daran. „Ich mache in meinem Job beinahe täglich etwas anderes und kann außerdem behaupten, dass ich all unsere 50.000 Bäume selbst gepflanzt habe. Mein Soll in Sachen ,einen Baum pflanzen‘ habe ich also mehr als erfüllt“, sagt er und lacht.
Wenn das Alte Land rosa leuchtet
Besonders am Herzen liegt ihm die Sorte Ingrid Marie, ein Apfel aus Dänemark. „Das knallrosa Blütenmeer im Mai ist einfach der Hammer. Wer das einmal gesehen hat, weiß, warum die Apfelblüte jedes Jahr unzählige Schaulustige anzieht. Da kann die Lüneburger Heide einpacken!“ sagt Detje augenzwinkernd und fügt an: „Wenn ich die Blüten von Ingrid Marie sehe, kommen bei mir die schönsten Kindheitserinnerungen hoch.“ Eine schöne Kindheit hatte vermutlich auch die kleine Ingrid Marie – denn nach ihr wurde der Zufallssämling benannt, den ihr Vater, der Lehrer K. Madsen, um 1910 auf dem Gelände einer Gartenbauschule auf Fünen zwischen Himbeersträuchern entdeckt hatte. Botanisch ist der Apfel eine Kreuzung aus Cox Orange und Cox Pomona. Die Früchte sind tiefrot, ihr Aroma süß-säuerlich und erfrischend.
Apfel-Charaktere mit Ecken und Kanten
Neben Elstar, Wellant und Red Prince kultiviert der Familienbetrieb rund 20 verschiedene Sorten. Wer also Vielfalt sucht, findet bei Detje all die Klassiker, die es im Supermarkt kaum noch gibt. Da ist zum Beispiel der ursprünglich aus England stammende Cox Orange, aus dem unter anderem auch der Ingrid Marie hervorging. Er gilt als „Königin der Äpfel“. Klein bis mittelgroß, auf gelbgrünem Grund mit einer orangeroten Marmorierung, begeistert er mit einer fast parfümiert wirkenden Würze, in der Honig- und Muskatnoten mitschwingen. Schwierig im Anbau, aber eine geschmackliche Ikone, die Generationen von Züchtern inspiriert hat – viele moderne Sorten gehen direkt auf ihn zurück.
Ein Muss in Detjes Sortiment ist der Finkenwerder Herbstprinz, eine fast vergessene norddeutsche Sorte. Sein glockenförmiger Körper ist grün mit roter Streifung, geschmacklich bewegt er sich zwischen herb-süß und fein säuerlich. Erst wenn er ein wenig angewelkt ist, entfaltet er sein volles Aroma – ein Geheimtipp für Kenner. In den 1960er-Jahren war er im Raum Hamburg ein Wirtschaftsapfel von Rang, heute ist er fast verschwunden.
Der „Schöne aus Boskoop“, kurz Boskop, ist dagegen noch heute in aller Munde und begleitet so manchen Gänsebraten zu Weihnachten. Mit seinen mächtigen Früchten, die leicht über 200 Gramm wiegen, ist er der Inbegriff des Winterapfels. Kaum eine Sorte eignet sich besser für Bratäpfel oder Apfelkuchen. Seine Säure ist kräftig, sein Aroma unverwechselbar – und je länger er lagert, desto runder wird sein Geschmack.
Auch die Renetten insgesamt haben Geschichte geschrieben. Sie sind keine einzelne Sorte, sondern bilden eine ganze Familie von Äpfeln, die über Jahrhunderte als die feinsten galten. Ihr Fleisch ist aromatisch und würzig, manchmal etwas mehliger, aber voller Charakter. Die Rubinette, eine Kreuzung aus Cox Orange und Golden Delicious, ist sozusagen die moderne Hommage an diese Gruppe: klein, intensiv, süßsäuerlich – und bei Liebhabern längst Kult.
Lagerung von Äpfeln – vom Obsthof bis nach Hause
Nicht jeder Apfel ist sofort genussreif, wenn er vom Baum kommt. Viele klassische Wintersorten wie der schon erwähnte Boskop werden im September oder Oktober geerntet, entfalten ihr volles Aroma aber erst nach einigen Wochen Lagerung. Erst dann werden die Säuren milder und der Geschmack runder. Deshalb kommen solche Sorten oft erst im November oder Dezember auf den Markt.
Damit das Nachreifen gelingt, brauchen Äpfel auf dem Hof spezielle Bedingungen: Kühle, Dunkelheit, hohe Luftfeuchtigkeit und möglichst gleichbleibende Temperatur. In modernen Lagern wird zusätzlich Sauerstoff entzogen – so verlangsamt sich die Reifung.
Auch zu Hause gilt: Äpfel mögen es kühl und dunkel. Das Gemüsefach im Kühlschrank eignet sich grundsätzlich, besser ist aber ein unbeheizter Keller oder ein frostfreier Schuppen. Dort bleiben die Früchte knackig und aromatisch. Wichtig: Äpfel sondern Ethylen ab, ein Reifegas, das anderes Obst und Gemüse schneller altern lässt. Deshalb sollte man sie nicht neben empfindliche Sorten wie Tomaten, Gurken oder Salat legen.
Ein weiterer Tipp: Äpfel möglichst locker lagern, nicht stapeln und angeschlagene Früchte sofort aussortieren – sonst steckt der „faule Apfel“ die anderen an.
Alte Sorten und Allergien
„Viele meiner Kunden, die auf ‚neuzeitliche‘ Apfelsorten mit Niesreiz oder Magen-Darm-Problemen reagieren, berichten, dass sie alte Sorten deutlich besser vertragen“, sagt Detje. Diese Beobachtung wird von medizinischen Fachleuten inzwischen bestätigt. Der Grund ist ein höherer Polyphenolgehalt. Alte Sorten wie Boskop, Finkenwerder Herbstprinz oder Renetten enthalten sehr viele Polyphenole. Diese sind für die schnelle Bräunung des Fruchtfleisches verantwortlich – bringen aber gleichzeitig Aroma und binden Eiweißstoffe, die allergische Reaktionen auslösen können. Neue Sorten wurden in den vergangenen Jahrzehnten auf süßen Geschmack, festes Fruchtfleisch und makelloses Aussehen hin gezüchtet. Dabei wurde der Polyphenolgehalt gezielt reduziert.
Klimawandel macht sich bemerkbar
Doch die Gesundheit der Menschen ist nur die eine Seite – die Gesundheit der Bäume eine andere. Und da macht sich der Klimawandel deutlich bemerkbar. „Früher war Blütezeit Mitte Mai, heute blühen die Äpfel manchmal schon im April. Wenn es dann friert, ist die Ernte verloren“, sagt Detje. Das Gegenmittel heißt Frostschutzberegnung: Feiner Regen legt sich über die Blüten und gefriert sofort. Der dünne Eispanzer wirkt als Wärmeschutz und hält die Blüte stabil auf null Grad. Doch auch neue Probleme wie Sonnenbrand oder Wassermangel beschäftigen die Obstbauern inzwischen.
Rezepte und Empfehlungen
Während die Obstbauern mit den großen Fragen der Zukunft ringen, geht es für die Verbraucherinnen und Verbraucher eher ums Kleine, Konkrete: Welcher Apfel passt wozu? Dirk Detje kennt die Vorlieben und empfiehlt je nach Anlass ganz unterschiedliche Sorten: „Für Bratäpfel empfehle ich den Holsteiner Cox, für gedeckten Apfelkuchen Boskop oder Finkenwerder Herbstprinz.“ Auch pur sind viele alte Sorten ein Genuss – für alle, die Lust haben, jenseits der „Einheitsäpfel“ aus dem Supermarkt neue Geschmäcker zu entdecken.
Wer Appetit bekommen hat: Obstbauer Detje und sein Team stehen freitags auf dem Wochenmarkt Schwachhausen (H.-H.-Meier-Allee) und samstags in Verden auf dem Bauernmarkt. Dort gibt es Kindheitserinnerungen zum Reinbeißen – direkt vom Baum.
Weitere Folgen des Bremer Marktkalenders: https://meine-wochenmaerkte.de/marktkalender-wm/
Rezept
Detjes Blitz-Apfelkuchen
(für 1 Blech oder ca. 6–8 Stücke)
Zutaten
1 Rolle Blätterteig (aus dem Kühlregal)
3 – 4 Äpfel (z. B. Boskop oder Finkenwerder Herbstprinz)
3 – 4 EL Aprikosenmarmelade
2 EL Rosinen (optional)
2 EL gehobelte Mandeln
etwas Zitronensaft
1 – 2 EL Zucker und Zimt nach Geschmack
Zubereitung
Den Backofen auf 200 °C (Ober-/Unterhitze) vorheizen. Blätterteig mit dem Backpapier auf ein Blech legen.
Aprikosenmarmelade kurz erwärmen und gleichmäßig auf dem Teig verstreichen. Äpfel waschen, entkernen, in feine Spalten schneiden und mit etwas Zitronensaft beträufeln. Apfelspalten dachziegelartig auf dem Blätterteig verteilen. Mit Rosinen, Mandeln, Zucker und Zimt bestreuen.
Im heißen Ofen ca. 20–25 Minuten backen, bis der Teig goldbraun ist.
Tipp: Lauwarm servieren – wer mag, mit einer Kugel Vanilleeis oder einem Klecks Schlagsahne.